„Ein Kind braucht nicht jedes Elternteil, wenn es ungesund ist“
Es ist keine Liebe auf den ersten Blick, sondern zuerst nur kollegiale Freundschaft, die Jahre später zu erbitterter Feindschaft wird. Claudia (Name geändert) lernt den Vater ihrer zwei Kinder bei der Arbeit kennen. Der Mann bemüht sich um sie und zieht sie irgendwann in seinen Bann. Sein wahres Gesicht zeigt er erst, als sie schwanger wird. „Es war eine toxische Beziehung.“
Die ersten Monate ihrer Beziehung spürt Claudia eine „ganz intensive Verliebtheit“, es ist „harmonisch ohne Ende“. Der Mann, den sie sich erst gar nicht als Partner vorstellen kann, wirft die Wienerin plötzlich um mit seinen Gefühlen. Alles scheint zu passen, doch der Schein trügt. Als sie ein Kind erwartet, kommt es zum ersten großen Streit. Erstmals stellt sie fest, dass ihr Partner „null Verständnis für meine Situation hat.“ Sie nimmt sein Verhalten hin, weil sie dabei ist, eine Familie mit ihm zu gründen. „Ich bin dann noch 15 Jahre lang immer wieder drüber gegangen. Ich habe es wirklich lange ausgehalten, aber ich bin zum Schluss extrem kaputt gewesen“, zieht Claudia heute eine harte Bilanz ihrer Beziehung. Sie kommt dahinter, dass ihr Lebensgefährte sie wiederholt betrügt, schon ab der ersten Schwangerschaft und auch, als sie das zweite Baby erwartet. Sie entscheidet sich dennoch, ihm zu verzeihen. Auch seine steigende Gewaltbereitschaft erträgt sie viel zu lange. „Trauma-Bonding ist dafür verantwortlich, dass man sich nicht trennen kann. Diese Abhängigkeit ist mit der Sucht nach einer Substanz zu vergleichen“, weiß sie heute.
Finanzielle Gewalt während und nach der Beziehung
Als Claudia erkrankt und Unterstützung braucht, muss sie feststellen, dass ihr Zustand ihren Partner völlig kaltlässt. „Wie ich da von ihm behandelt worden bin, wurde mir klar, mit so jemandem verbringt man sein Leben einfach nicht.“ Sie entschließt sich, ihn endlich zu verlassen. Doch die Trennung gestaltet sich ebenfalls schwierig, wie die Beziehung zuvor. Gemeinsam über die Zukunft als Eltern zu sprechen, ist absolut nicht möglich, auch nach mehreren Mediationen nicht. „Dass ich nicht verheiratet war, war ein großer Vorteil“. Dadurch hat Claudia auch die alleinige Obsorge für ihre Kinder. „Ich bin sonst aber um alles umgefallen, etwa um Unterhaltszahlungen. Auch aus der Beziehung und aus dem gemeinsamen Haushalt habe ich null rausbekommen. Ich bin nur mit den uralten Möbeln, mit denen ich 20 Jahre davor eingezogen bin, wieder ausgezogen.“
Doch der Kindsvater gibt sich nicht damit zufrieden, seine Ex-Lebensgefährtin und seine Kinder finanziell im Regen stehen zu lassen. Er wendet sich an die Kinder- und Jugendhilfe und macht Claudia als Mutter mit erfundenen Geschichten schlecht, weil er die alleinige Obsorge will. Heute weiß die Zweifach-Mutter, dass ihr Ex eine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat und deshalb auch so überzeugend lügen kann. Sie bittet ihrerseits um Unterstützung bei der Kinder- und Jugendhilfe und versucht zu erklären, warum ihr der Kindsvater Unwahrheiten über sie erzählt. „Ich habe es am Anfang noch sehr patschert kommuniziert, dass bei ihm was nicht stimmt. Ich bin insgesamt sehr unwissend ins Verfahren reingegangen, das dann gekommen ist. Aber das war auch von Vorteil. Ich habe mir nicht gleich einen Anwalt genommen, sondern so, wie ich es intuitiv gespürt habe, auf die Briefe vom Gericht reagiert.“ Damit gewinnt sie erstmal Zeit.
Kritik an traumatisiertem Sohn, weil er nicht reden will
Claudia wird daraufhin eine Familiengerichtshilfe zur Seite gestellt. „Was ich dort erlebt habe, war wirklich skurril.“ Denn statt Verständnis für ihre Situation zu zeigen, bedrängt man vor allem ihren Sohn, damals erst acht Jahre alt. Er soll schildern, was er in seiner Familie erlebt, auch, wenn es das nicht will. „Er ist durch den Konflikt mit dem Vater völlig verstummt. Er hat dichtgemacht und nichts mehr gesagt, schon gar nicht vor fremden Menschen. Es ist natürlich sofort mir umgehängt worden, dass ich das Kind falsch behandle und er plötzlich Angst hat vor dem Vater hat.“ Der Bub traut sich nicht zu erzählen, dass der Papa ihm schonmal fest den Arm verdreht hat oder der Mama ein Glas Wasser ins Gesicht schüttet, wenn er will, dass sie still ist. Ihre ältere Tochter ist bereits 14 Jahre alt, als der „Spießrutenlauf“ zu den Institutionen losgeht. Sie weigert sich, den Vater zu sehen.
Auch eine kostenpflichtige Elternberatung muss das Ex-Paar machen, „obwohl es finanziell schon überall sehr knapp war.“ Claudia bildet sich indes weiter, um einen neuen Job zu finden und nicht länger der finanziellen Gewalt ihres Ex-Partners ausgesetzt zu sein. Dabei lernt sie einen Coach kennen, der sie in der Vorbereitung auf die Elternberatung sehr unterstützt. „Ich habe extrem viel gelernt, damit ich nicht dauernd auf seine Anschuldigungen reagiere und mich im selben Konfliktkreis drehe“.
Gutachten bescheinigt Mutter „Empathielosigkeit“
Obwohl Claudia alle institutionellen Hürden bis hierher meistert, wird dann ein Gutachten erstellt, das sie in einem völlig falschen Licht darstellt: „Ich habe eine Empathielosigkeit bescheinigt bekommen“, ist sie immer noch außer sich. „Weil ich nicht mitfühlen kann mit diesem armen Vater, der seine Kinder nicht sieht. Und es wird immer so dargestellt, als wäre davor nie irgendetwas passiert.“ Auch ihr Sohn kommt im 130-seitigen Bericht nicht gut weg, weil er sich weigert, über das Erlebte zu sprechen. Die Chemie zwischen dem Buben und der Gutachterin hat nicht gepasst, resümiert Claudia. „Meine Kinder waren während des ganzen Zeitraums in therapeutischer Begleitung.“ Deshalb wird auch klar: „Mein Sohn hat eine depressive Verstimmung. Nicht nur wegen dem Konflikt zwischen dem Vater und mir, sondern auch aus der Phase, wo wir Gerichtswege hatten, und er gezwungen worden ist, mit fremden Menschen zu reden, die er eigentlich nie treffen wollte. Auch wenn sie es halbwegs einfühlsam versucht haben.“ Für Claudia ist der „Trennungskonflikt einfach brutal. Wenn dann von den Stellen, die einen unterstützen sollen, noch zusätzlich draufgedrückt wird, ist das die Hölle.“
Besonders schlimm waren die Treffen zwischen Vater und Sohn, zu denen Claudia gezwungen wurde. „Mein Ex hat ihn bei den verordneten Kontakten während der Autofahrten wiederholt angebrüllt und betont, er sei kein schlechter Vater, unser Sohn soll das endlich kapieren. Einmal hat der Vater ihn sogar unvereinbart über die Stadtgrenze mitgenommen und nicht gesagt, wohin es geht. Mein Sohn hatte Angst. Er hat eineinhalb Jahre fast nicht in ein Auto einsteigen können, weil er sofort getriggert worden ist.“ Claudia klagt an: „Die direkte Ausübung der institutionellen Gewalt ist eigentlich dem Kind passiert.“ Claudia hat ihre harte Erfahrung stärker gemacht, sie hat den letzten Gerichtstermin mit ihrem Ex-Partner Anfang des Jahres gehabt. Ihre Kinder sind nun alle alt genug, um nicht mehr zu Kontakten mit dem Vater genötigt zu werden. „Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass ein Kind nicht jeden Elternteil braucht. Wenn einer ungesund und giftig ist, glaube ich, es ist für die Entwicklung besser, wenn man sich nicht mit solchen Menschen umgibt.“