„Mein Ex dachte, unser Kind ist vom Teufel besessen“
Nina (Name geändert) weiß von Anfang an nie, woran sie bei ihrem Partner ist. Ihre Beziehung ist eine Achterbahn der Gefühle – aufregend, aber auch sehr verunsichernd. Als sie bald schwanger wird, ist ihre Liebe noch nicht gefestigt. Sie ahnt auch noch nicht, dass der Mann, mit dem sie eine Familie gründet, eine mehrfache Persönlichkeitsstörung hat, die ihn völlig unberechenbar macht. Er bringt Mutter und Kind später immer wieder in Gefahr, dennoch verlangt das Gericht, dass der Kontakt um jeden Preis aufrechterhalten wird.
Schon bald nachdem ihr Baby auf die Welt kommt, wird Nina klar, dass ihr Lebensgefährte psychisch krank ist und als Vater nicht verlässlich sein kann. „Er ist ein schwer traumatisierter Mann aus einer dysfunktionalen Familie, seine Kindheitstraumata wurden nie aufgearbeitet.“ Konkret spürbar wird das erst so richtig nach der Geburt. „Es hat ganz unterschiedliche Weltanschauungen gegeben, von denen ich davor in dem Ausmaß nichts gewusst habe. Er behauptete, „das Kind ist vom Teufel besessen“ und sprach absurde Verbote aus. „Wir durften nicht zu einem Arzt gehen, der kein Kreuz an der Wand hängen hat. Osteopathie, TCM und andere anerkannte Behandlungen waren tabu, weil sie angeblich dem Satan die Türen öffnen.“ Für Nina „war sehr schnell klar, dass das nicht funktionieren kann.“
Trotz psychotischer Schübe: Mutter muss Vater Kontakt ermöglichen
Als das Kind etwa sechs Monate alt ist, wird das Zusammenleben unmöglich. „Es kam vermehrt davor zu psychotischen Zuständen, die wirklich beängstigend waren. Ich habe immer wieder das Haus verlassen und mit unserem Kind woanders übernachtet, weil ich einfach Angst hatte.“ Als die Situation eskaliert, droht Nina, die Polizei zu rufen, wenn der Vater das Haus nicht umgehend verlässt. Er folgt ihrem Wunsch zwar, doch will er später wieder heim und so weitermachen, als wäre nichts passiert. Das ist für Nina jedoch nicht mehr möglich. Die beiden trennen sich als Paar, machen aber eine gemeinsame Psychotherapie, weil sie als Eltern weiterhin miteinander auskommen wollen. „Er hat dann unser Kind immer bei mir daheim besucht.“ Nina bleibt währenddessen im Haus und schaut immer wieder nach dem Rechten. „Das war oft gut, weil es auch immer wieder kleine Unfälle und Verletzungen gegeben hat oder er eingeschlafen ist.“
Die Mutter muss bald darauf feststellen, dass „das Interesse am Kind immer mehr nachgelassen hat. Er hat seine Zeit abgesessen und nur mehr am Handy gespielt.“ Heute weiß Nina, dass ihr Ex damals schon eine neue Beziehung begonnen hat und deshalb nicht mehr mit dem Herzen dabei war. Mehr noch, die Pflichtbesuche haben seine privaten Treffen gestört. „Er ist zunehmend wirklich ablehnend dem Kind gegenüber geworden. Er hat es auch instrumentalisiert und mich schlecht beim Kind gemacht.“ Das Verhalten seines Vaters hat schnell eine große Wirkung auf das Kleinkind. Mit zweieinhalb Jahren sagt es bereits ganz klar, „der Papa soll nicht kommen“, schildert Nina. Sie versucht dennoch eine „Vermittlerposition“ einzunehmen, um die Kontakte mit dem Kindsvater weiterhin zu ermöglichen. Die Vollblutmama bereut bis heute, dass sie den Willen ihres Kindes nicht ernstgenommen hat, weil es später Dinge mitansehen muss, die es traumatisiert haben.
Auf physische folgt institutionelle Gewalt
Die psychotischen Phasen des Vaters im Beisein des Kindes kehren zurück – mit fatalen Folgen. „Das hat dann zu einer Körperverletzung mir gegenüber geführt, das Kind war Augenzeuge. Wir haben die Polizei im Haus gehabt, es kam zu einer Wegweisung und zu einem Annäherungsverbot. Wir waren vor dem Strafgericht, das waren komplett neue Welten“, denkt Nina ungern an diese schwere Zeit zurück. Denn neben dem Angriff durch ihren Ex erfährt sie nun auch erstmals institutionelle Gewalt. Der Strafrichter, der dazu eigentlich nicht befugt ist, will, dass es „schnellstmöglich zu einem regulären Kontaktrecht“ kommt. Nach einem halben Jahr Kontaktverbot wendet sich der Kindsvater ans Gericht und stellt einen Antrag darauf. Das reguläre Kontaktrecht sieht auch Übernachtungen und Wochenenden mit dem Kind vor. „Ich habe natürlich dagegengehalten, weil ich weiß, dass er die Aufsichtspflicht in psychotischen Phasen nicht wahrnehmen kann. Das gibt er auch teilweise selbst zu, aber natürlich nicht vor Gericht.“
Durchsetzen konnte Ninas Ex seine Forderung nach mehr Kontakt bisher nicht. Es wurden indes begleitete Besuchskontakte vereinbart. Der Vater behauptet gegenüber dem Kind jedoch weiterhin, es hätte nie Gewalt gegen die Mutter gegeben, obwohl das Kleinkind dabei war. Die Treffen werden immer schwieriger, das Kind hat inzwischen jedes Mal im Vorfeld heftige Bauchschmerzen, die später auch zum Einkoten führen, obwohl es schon längst selbstständig auf die Toilette gehen kann. Es beginnt auch, sicher immer wieder vor den Treffen mit dem Vater zu übergeben. „Es sagt jetzt noch, ich habe Angst, dass der Papa die Mama schlägt“, erzählt Nina traurig. Obwohl sie das ihrem Kind das nicht mehr zumuten will, fährt sie trotzdem ins Besuchscafé, „weil mir vor Gericht angedroht worden ist, dass es Konsequenzen hat, wenn ich das nicht tue.“ Sie lässt ihr Kind medizinisch durchchecken, aber „es war körperlich gar nichts, sondern reine Psychosomatik. Nachdem das Erbrechen nicht geholfen hat, hat es dann aufgehört zu essen. Wir sind dann stationär aufgenommen gewesen.“
Richterin und Gutachterin werfen Mama „Bindungsintoleranz“ vor
In dieser belastenden Situation wird Nina von der Richterin und einer gerichtlich bestellten Gutachterin zum Sündenbock gemacht, man wirft ihr „Bindungsintoleranz“ vor. Der Begriff basiert auf einem unwissenschaftlichen Konzept, das es gewalttätigen Vätern möglich macht, weiterhin ihre Kinder zu sehen. Der Mutter wird Absurdes vorgeworfen: „Ich hätte versagt, weil ich es nicht schaffe, das Kind so vorzubereiten, dass es sich auf den Papa freut.“ Dabei hat Nina ganz klar gegen ihr Bauchgefühl und den ausdrücklichen Wunsch des Kindes jeden Termin mit dem Kindsvater eingehalten. „Ich habe mich mitschuldig gemacht, weil ich einfach nicht aufs Kind gehört habe, aus Angst.“
Seit fast einem Jahr hat nun kein Treffen mehr stattgefunden, weil der Vater das Besuchscafé ohne Angabe von Gründen gekündigt hat. Nach allem, was vorgefallen ist, wird vom Gericht dennoch weiterhin auf eine Einigung der Eltern hingearbeitet. Ein Richterwechsel lässt Nina zwar hoffen, dennoch bleibt sie realistisch. „Wir sind noch weit davon entfernt, dass vom Gericht eine Entscheidung im Sinne des Kindes getroffen wird. Aber die Rechte des Vaters, die sind wichtig.“ Beim letzten Prozess hat die Gutachterin erneut betont, wie wichtig der Papa fürs Kind wäre, obwohl sich dieses ganz klar fürchtet. „In der Handreiche zum Umgang mit Gewalt im Zusammenhang mit Obsorge und Kontaktrecht des Justizministeriums steht explizit drinnen, eine Entfremdung ist in Kauf zu nehmen. Das Kind braucht eine Stabilisierungsphase, um sich zu erholen und zu distanzieren. Dann kann man es mit neuem Schwung wieder versuchen. Die Handreiche kennt aber leider keiner oder sie wird belächelt“.
Gutachterin ist pro Vater eingestellt
Kürzlich wurde ein Gutachten erstellt, das Nina zu Recht empört. Darin „ist alles, was das Kind sagt, verdreht. Es versteckt sich, weil es hört, der Papa kommt, hört auf zu reden und im Gutachten steht drinnen, es versteckt sich spielerisch unterm Tisch und freut sich, dass der Papa kommt.“ Mit offiziell genehmigten Tonaufnahmen der Treffen und einem Gegen-Gutachten will die Mutter diesen verdrehten Tatsachen und falschen Einschätzungen etwas entgegensetzen. Doch es wird alles abgeschmettert, „weil die Gutachterin namhaft ist, also wird das Gutachten nicht hinterfragt.“ Nina hat inzwischen besser gelernt, den Widrigkeiten der Institutionen zu trotzen und sich zu wehren. Anderen betroffenen Müttern rät sie, sich zuerst selbst zu stabilisieren, auch mit externer Hilfe, „weil dieses ganze System dermaßen verunsichert und einem als Mutter glaubhaft macht, dass man falsch liegt.“ Und sie ergänzt: „Ich würde nie zu einem Gerichtstermin gehen oder, wenn die akute Streitphase beginnt, auch kein Mail oder keinen Anruf tätigen, ohne mich vorher rechtlich erkundigt zu haben.“