„Wenn man nicht blutig geschlagen wird, passiert nichts“
Roberta (Name geändert) hat einen charmanten, intelligenten und sportlichen Mann kennengelernt. Das Paar teilt dieselben Vorstellungen vom Leben und schmiedet Pläne für die Zukunft. Sie heiraten, auch ihre Familie und Freunde nehmen ihren Ehemann auf. Bald ist die Wienerin schwanger und ihr Glück scheint perfekt. Doch mit der Geburt des ersten Kindes verändert sich alles: Der Partner, mit dem sie eine Familie gegründet hat, zeigt plötzlich und immer häufiger ein anderes, beängstigendes Gesicht.
Es hatte den „Anschein eines perfekten Starts in eine gemeinsame Zukunft. Das hat sich dann auch mit Hochzeit, rascher Schwangerschaft und erstem Kind sehr glücklich und stimmig angefühlt“, blickt die Zweifachmama zurück. „Das war aber auch der Zeitpunkt, wo die ersten größeren Probleme mit seinen Aussetzern und Beleidigungen aufgetreten sind. Ich stellte mir die Frage, wie es sich ökonomisch von jemandem, der unabhängig, selbstständig und beruflich gut situiert ist, hin in eine Rolle mit Karenz, Mutterschutz und dementsprechend finanzieller Abhängigkeit verschiebt.“ Statt die erste Zeit mit ihrem Baby zu genießen, spürt Roberta plötzlich starke Verunsicherung und Existenzängste, weil ihr Mann wie ausgewechselt ist. „Der Druck hat begonnen, gleichzeitig auch die Überforderung seinerseits mit dem Kind.“
Gewalt gegen Mutter und Kinder
Roberta federt erst alles ab. Sie hofft, dass sich die Situation entspannen wird, wenn das Kind älter wird. Dann kommt ihr zweites Baby zur Welt – auch ein beiderseitiges Wunschkind. Für die liebevolle Mutter wird ihr Leben damit nun noch schwieriger. „Es kamen erste größere verbale Abwertungen und die ganze Spirale an psychischer Gewalt.“ Immer wieder spießt es sich beim Thema der Erziehung. Der Vater will keine Betreuung mehr übernehmen und wird gleichzeitig immer grausamer zu den Kindern. „Es sind deutlich rote Linien überschritten worden, die in eine autoritäre Erziehungsrichtung hineingingen, die ich nicht mittragen konnte, wo es aber auch keine Bereitschaft gab, eine gemeinsame Linie zu erarbeiten.“ Roberta spricht von „schwarzer Pädagogik“ und mehr noch: von „Gewalterfahrungen der Kinder“. Sie tritt dem Kindsvater daraufhin entschieden entgegen, „was die Beziehung noch stärker verschlechtert hat.“
Trotz Wegweisung: Gericht glaubt Vater
Als die Gewalt zu Hause immer mehr eskaliert, schaltet Roberta die Polizei ein. „Die Übergriffe auf die Kinder waren so massiv, dass ich beschlossen habe, ich muss das jetzt melden und dann ist es eine Wegweisung geworden.“ Nun gibt es für die Mutter kein Zurück mehr, sie will ihren Mann verlassen, um ihre Kinder zu schützen – eine oft besonders gefährliche Zeit für Frauen von gewalttätigen Partnern. Sie möchte eine einstwillige Verfügung gegen ihren Noch-Ehemann erwirken. „Meine größte Angst war, wie er reagieren würde, wenn eine Behörde anklopft.“ Ihre Sorgen erweisen sich als begründet. Denn obwohl Roberta und ihre Kinder von Sozialarbeitern gut begleitet werden, erlebt sie vor Gericht eine völlig andere Situation. Ihr Ex-Mann „hat es geschafft, dass seiner Version der Geschichte, in der alles verharmlost und die vorhandene Gewalt als nicht präsent dargestellt wurde, einfach Glauben geschenkt wurde. Es wurde auch nicht weiter bei Zeugen oder anderen beteiligten Personen nachgefragt, sodass die einstweilige Verfügung abgelehnt wurde und er dann zu Hause eingezogen ist und der ganze Terror dann erst richtig losgegangen ist.“
Gericht zwingt Gewaltbetroffene zum Zusammenleben mit Täter
Roberta erlebt hier eine besonders schlimme Form institutioneller Gewalt: Sie wird per Gerichtsbeschluss gezwungen, weiter mit dem Mann unter einem Dach zu leben, der ihre Kinder und sie misshandelt hat. „Weil laut Gerichtsbeschluss ist nichts vorgefallen“, erzählt sie entsetzt. Bei seiner Rückkehr hat der Kindsvater „zu Hause Videoüberwachung installiert und einen massiven Terror gestartet.“ Die Situation wird schnell untragbar, auf Anraten der Kinder- und Jugendhilfe ziehen Roberta und ihre Kinder aus. „Ab dann ist es alles noch schlimmer geworden, was die psychische Gewalt seinerseits betrifft und das Unverständnis von vorrangig gerichtlichem Umfeld für diese Situation.“
Behörden sehen die psychische Gewalt und ihre Auswirkungen nicht, weiß sie inzwischen. Fachpersonen, Sozialpädagogen und das Gewaltschutzzentrum haben Roberta zwar ganz klar Recht gegeben, es sei eine massive Gefährdung vorhanden und ihre Familie brauche Schutz. „Aber sie können nichts machen, weil im rechtlichen Sinne nichts gedeckt ist. Es gibt keine Handhabe, es gibt keinen Paragrafen. Wenn man nicht blutig geschlagen wird, dann passiert sozusagen nichts.“
Sie kämpft um alleinige Obsorge
Erschwerend kommt hinzu, dass der Kindsvater sehr eloquent ist und die Institutionen immer wieder davon überzeugen kann, dass er seine Kinder liebt und sich gut um sie kümmert. „Es gibt zahlreiche bewiesene Lügen und Falschdarstellungen, aber es wurden keine Beweise beachtet“, fühlt sich Roberta vom Gericht im Stich gelassen. „Die psychische Gewalt kann weitergetrieben werden, es kann das ganze Umfeld angezeigt werden, massiver Druck ausgeübt werden, zigmal die Polizei eingeschaltet werden, aber es passiert nichts.“
Die Wienerin kämpft trotzdem weiter, sie will die alleinige Obsorge für ihre Kinder haben, die man ihr zumindest vorläufig zugestanden hat. „Es wird dann ständig in Aussicht gestellt, dass es in Zukunft in eine gemeinsame Richtung gehen kann, obwohl Psychologen sagen, dass man sich mit nicht vorhandener Gesprächsbasis und laufenden Anzeigen, die mein Ex-Mann gegen mich unternimmt, überhaupt nicht an einen gemeinsamen Tisch setzen kann. Trotzdem wird vom Gericht immer diese Karotte der gemeinsamen Obsorge in den Raum gestellt, um zu versuchen, den Vater zu besänftigen.“ Seine nächste Eingabe zeigt dann wieder, dass Robertas Ex-Mann weiter nur seine eigene Linie fährt und sie „mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aufs Härteste bekämpft. Da geht es um Vernichtung von mir.“
Anerkennung psychischer Gewalt
Roberta wird kontinuierlich von ihrem Ex-Mann wegen erfundener Tatbestände angezeigt und muss sich dagegen gerichtlich wehren. Auch ihr nahes Umfeld wird vom Kindsvater unter Druck gesetzt, doch auch dieser Tatsache wird institutionell kaum Rechnung getragen. „Es wird keine systemische Betrachtung in psychischen Gewaltfällen gemacht. Wenn die Person das Ziel nicht erreicht, dann wird mit massiven Schlägen überall hingehackt und das ist systematisch. Diese Systematik als Gewalt zu definieren und dann auch als Gewaltmaßnahme mit Konsequenzen zu versehen, fehlt komplett in Obsorge-Thematiken.“ Roberta fordert, dass psychische Gewalt auf rechtlicher Seite endlich als solche anerkannt wird. Die Handreiche für Richter*innen in Obsorge- und Kontaktrechtverfahren sei ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie will andere Mütter in ihrer Lage ermutigen: „Am wichtigsten ist, keine Angst zu haben. Und das ist, gerade wenn es um die Kinder geht, das Schwierigste.“